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Peter Funken  

Das Ornament im Werk von Wolfgang Rüppel

 

Reinhard von Bernus

Gabriele Lohberg  

Eine Art Einleitung ins Thema Glück

 

Andrea Wolter-Abele  

Christina Paetsch und Wolfgang Rüppel - Tarnen und Täuschen

Galerie Seitz & Partner  

Wolfgang Rüppel in der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft Berlin

Sabine Graf  

Entrümpelung der öffentlichen Räume

Gabriele Lohberg  

Wolfgang Rüppel „Alle Farben“, Siebdruck

Dr. Pia Müller-Tamm 

Wolfgang Rüppels „Denkmal zur Erinnerung an den siebzehnten Juni Neunzehnhundert dreiundfünfzig“ in Berlin

Dr. Pia Müller-Tamm  

Kunstsammlung NRW K20 16.6.2000 in der Galerie  Seitz & Partner

Texte

Peter Funken 

Das Ornament im Werk von Wolfgang Rüppel

Die Kunst Wolfgang Rüppels hat sich im Fadenkreuz von Malerei, Drucktechniken, plastischen Inventionen und und Installationen entwickelt. Zahlreiche Arbeiten der letzten Jahre entstanden in einem mischtechnischen Verfahren von Siebdruck, Malerei und enkaustischer Technik. Da Zentrale Motiv von Rüppels Kunst bildeten dabei florale Elemente,

die der Künstler jedoch nicht in einem naturalistischen Sinne verwendet.

Ein wichtiger Ausgangspunkt für Rüppels Bildproduktion war der Fund von Velourstapeten mit stilisierten Blumenornamenten und schmalen, vertikal angeordneten Streifen, wie sie seit der Renaissance und später, besonders im Klassizismus und Historismus, wieder gebräuchlich wurden. Solche, in Ornament und Lineament streng organisierte Tapeten, verwendet Rüppel als Grundstoff für seine Bilderfindungen. Mittels Siebdrucktechnik und Druckerfarbe bringt er das Tapetenmuster auf auf meist hochrechteckige Bildträger, die er vorher bemalt hat.Die Bemalung des Untergrunds bleibt bleibt dabei innerhalb eines Farbspektrums, das in einem fast übergangslosen Verlauf zum Beispiel von einem gelben zu einem blauen Grün, oder von gelbem Rot zu braunrot wechselt. In ihrem Valeur verändert sich die Farbe dabei von hell zu dunkel.

Häufig entstehen mehrteilige, oft vierteilige Arbeiten. Bei der Installation dieser Werke belässt der Künstler zwischen den einzelnen Bildteilen schmale Abstände, so dass das mehrteilige Werk zwar als Ganzes betrachtet werden kann, die Eigenständigkeit und Besonderheit jedes Bildelementes jedoch auch erkennbar ist.Durch diese Hängung gewinnen die einzelnen Bildteile gleichzeitig die Eigenschaft von Bildobjekten; sie erinnern an Paravents, die man hochgehängt hat oder an ausgeschnittenen und "dingfest" gemachte Details von groΒflächig tapezierten Flächen. Wolfgang Rüppel geht es beim Drucken der Vorlage nicht um ein absolut exaktes repetieren des Motivs, sondern um die Darstellung eines Prozesses und von Veränderungen im Verlauf der Reihung: der Druck unterscheidet sich von Tafel zu Tafel einer Arbeit aufgrund minimaler Verschiebungen des Siebes. Auf jeder der Tafeln erscheint er neu, anders und wirkt wie individualisiert: mal ist er intensiver, mal verblichener, er habt sich plastisch vom Hintergrund ab oder verbindet sich mit ihm.

Bei der Werkserie mehrteiliger, hochformatiger Drucke kann das Ornament - aufgrund des versetzten Druckes - vor der Malerei des Untergrundes eine solche Plastizität gewinnen, dass es vor dem Bildgrund zu schweben scheint. Diese irritierende Wirkung verstärkt Wolfgang Rüppel, indem er die bedruckten Bildträger mit Wachs übermalt. Die Erscheinung des Ornaments und des Hintergrundes wird durch das milchig-transparente Wachs isoliert, verfernt, gewinnt Räumlichkeit und Bildtiefe. Dem Auge fällt es dadurch schwer die bildhafte Erscheinung "scharf" zu stellen, denn die symmetrischen Ornamente scheinen zu vibrieren und entziehen sich der exakten Fixierung. Wolfgang Rüppels Bilder und Bildreihen lassen sich insofern als eine Weiterführung der Ideen der op-art begreifen. Doch wäre es zu einfach Rüppels Werk allein unter einem einzigen Aspekt zu betrachten.

Ausgehend von den Entwicklungen in seiner Bildnerei hat der Künstler auch immer wieder plastische Werke geschaffen, wie etwa stilisierte Blatt-Objekte aus eingefärbtem Wachs, die - so Rüppel - "aus seinen Bildern herausgefallen sind", sich also als Motive fast zwangsläufig ergeben haben. Diese plastischen Formen nehmen als auf den Boden gelegte oder an Wände gehängte Gegenstände raumdefinierende Funktion an; als einzelnes Objekt können sie Element einer Installation sein, als Gruppe einen Raum besetzen und markant bestimmen.

Wolfgang Rüppel hat ebenfalls quaderförmige Marmorsteine mit Blüten - und Rankenornamenten bedruckt, die im Kontext von Installationen auftreten, aber auch als Solitäre erscheinen. Der mit Pflanzenmustern bedruckte Stein lässt sich wie ein memento mori verstehen, dessen Ausdrucksqualität in der Verbindung von totem Material und dem im Ornament stilisierten Rankenmotiv liegt.

Anstatt der üblichen Siebdruckfarben verwendet Wolfgang Rüppel neuerdings auch ölfarben. Beim Drucken reagiert die konsistentere ölmaterie stabiler als die Siebdruckfarbe. Obgleich durch das Druckverfahren entstanden, vermitteln diese neuen Arbeiten fast den Eindruck gemalter Bilder. Bei den öldrucken gewinnt die Struktur der Oberfläche zugunsten der Komposition an Eigenständigkeit und Ausdruckskraft. Auch bei diesen Arbeiten bewegt und verändert Wolfgang Rüppel die Position des Siebes. Er druckt verschiedene Farbschichten über - und nebeneinander, setzt markante Kontraste, wenn er glänzend schwarze Pflanzenornamente vor einen leuchtend gelben Untergrund stellt und schafft spannungsvolle Beziehungen zwischen flach bemalter Fläche und reliefartiger Oberfläche. Die neuen Werke Wolfgang Rüppels bestechen aufgrund der Konzertanz der Mittel: die durch die satte ölfarbe strukturierten floralen Ornamente erzeugen im Zusammenspiel mit dem flächigen Untergrund eine fast illusionistische Tiefenräumlichkeit.

Gleichzeitig besitzen diese Arbeiten in ihrer starken Farbigkeit plakative Eigenschaften, aber auch die Qualitäten einer konkreten Kunst, in der die Prozesshaftigkeit der Bildproduktion deutlich erkennbar wird.

Reinhard von Bernus

Obst liegt auf dem Teller, oder es fällt herunter. Es lagert in Bildern, die eher angelegt sind, nicht zu Boden, sind sich aber ihrer Orientierung nach oben und unten genau bewusst. Diese Formen treten nicht in gesetzmäßige Konstellationen zueinander, sie gesellen sich bloß. Das macht Obst nicht anders, wenn es sich zum Sammelbegriff zusammentut. Und dann streben sie aufwärts und schweben durch Die Welt. Heiliges Zeug auf Himmelfahrt, mit glatter,lassen. Weise nicht gewaltfrei - als die Gemeinde gewohnt ist, glatt an sich heruntergehen zu lassen.

Gabriele Lohberg - Eine Art Einleitung ins Thema Glück

Eine Ausstellung "über Glück” vorzubereiten, heiΒt sich mit einem Thema auseinander zusetzen, das in diesen, nicht für alle glücklichen Zeiten, schon fast eine Provokation ist. Gespräche über Unglück sind stets willkommen, sicherlich politisch und gesellschaftlich korrekt und benötigen keiner Begründung. Die Legitimation und "innere Notwendigkeit" ergibt sich durch die Omnipräsenz des latenten Unglücks von selbst. Die christliche Religion entspricht mit dem Zeichen des leidenden Christus am Kreuz, seit zwei Jahrtausenden dieser Seite des menschlichen Daseins. Sich mit der anderen Seite, dem Glück zu beschäftigen bedeutet, sich selbst und den Künstler Wolfgang Rüppel zu fragen, in wie weit dieses Versprechen, eingelöst werden kann. Auf was lässt sich das "Glück" beziehen, wie ernst ist des dem Künstler Wolfgang Rüppel mit einer Affirmation des Gedankens? Kann es sich nur um Ironie handeln? Oder um ein Drama? 

Sicher ist, dass die Ausstellung in der Kunsthalle der Europäischen Kunstakademie nicht nur zu diesem Thema Anregung gibt. Vor allem und zuerst geht es um Kunst: um Malerei, Skulptur und installierte Boden- und Wandarbeiten mit groΒer räumlicher Wirkung.

Wolfgang Rüppel malt im Siebruckverfahren. Dieses verwendet er sowohl für seine Arbeiten auf Leinwand, als auch bei der Herstellung der Oberfläche seiner Skulpturen. In seinen Gemälden setzt er die historischen Blumen-Ornamente mit Vorbildern aus dem 17. Jahrhundert, mit gewollten UnregelmäΒigkeiten seriell neben- und übereinander und kombiniert sie mit abstrakten Flächenformen. So entstehen Stilleben, die nur ganz sublim, ganz entfernt das traditionelle "memento mori"aufgreift, das mit dieser Gattung der Malerei zusammen gesehen wird. Auf einem neutralen weiΒen Grund schweben die geschwungenen Flächenornamente, die äuΒerst prägnant als Zeichen für Blüte zusammenwirken. Dabei entsteht ein Wechsel zwischen Farbflächen und den Zwischenräumen des hellen Untergrundes. Mit der starken Ornamentierung, dem Muster erreicht der Künstler eine konsequente Flächigkeit im Bild und macht dabei die Malerei im Verfahren des Siebdrucks zu einer möglichst strengen Beschäftigung mit den Mitteln der Malerei. Es entsteht nicht nur ein Wechselspiel der Formen und in der Flächenorganisation, sondern auch in den Bedeutungsebenen. Die Blume ist ein Motiv, das in seiner schonungslosen Harmlosigkeit, seiner Nähe zum BlumenstrauΒkitsch mit der inhaltlichen Tendenz zur Herstellung von Harmonie, ein Bedeutungsträger par exellence ist.

Ein Bildmotiv zu wiederholen und es in eine - mehr oder weniger freie - Ordnung zu einem Ornament zu fügen, ist ein gestalterischer Ansatz mit weltumspannender Tradition. Wie kaum eine andere visuelle Struktur findet das Ornament als ein wesentliches Element von kultureller Gestaltung Verbreitung. Das Ornament als Struktur verbindet westliche und östliche Kulturen ebenso wie unterschiedliche Funktionen wie Architektur, Wandgliederung, Gestaltung von Tafelbildern und Dinge des täglichen Gebrauchs. In der zeitgemäΒen Kunst ist es daher in der Lage, feste Begrifflichkeiten wie sie z.B. mit den Gattungen Malerei, Bild, Skulptur verbunden sind aufzulösen und darüber hinaus Bildtraditionen, kreative Prozesse sowie die Funktion des Künstlers in einem anderen Licht aufleuchten zu lassen.

Wolfgang Rüppel verwendet Bildvorlagen, die bereits vorproduziert und reproduziert wurden. Diese untersucht er mit seinen Mitteln auf gestalterische und inhaltliche Möglichkeiten und verändert sie für seine jeweiligen künstlerischen Aussagen (Pia Müller-Tamm beschreibt diese Vorgänge in ihrem Beitrag grundlegend). Dabei fasziniert den Künstler immer wieder das Material Glas als Bildträger und in Kombination mit dem Bildträger, z.B. in einer schützenden Funktion. Um ein Bild vor Beschädigung zu bewahren, wird es durch seine Beschaffenheit und durch seine Funktion selbst gefährdet. In seiner bedeutenden, über 12 m umfassenden Boden- und Wandinstallation "Glück und Glas", kann und soll das Glas zerbrochen werden. Wolfgang Rüppel nennt seine Ausstellung "über Glück" in Beziehung zu diesem wichtigen Werk der letzten Jahre. Die Zeile "Glück und Glas" wird dabei fast automatisch zum populären Zweizeiler "wie leicht bricht das" vervollkommnet. Auf diese Weise wird die gängige Bedeutung der Beschädigung in einen kreativen Prozess umgedeutet. Mit der Interaktion von visuellem Erlebnis, subjektiver Empfindung und seiner Bewertung rückt auch der Komplex von Wahrnehmung und Wahrheit in den Focus der Betrachtung. Die Ungewissheit darüber, wer wir sind, wo und wie wir uns Positionieren, hat bereits Platon zum Zweifel an der sichtbaren Welt veranlasst, ein Zweifel, der bis heute nicht aufgelöst werden kann. Nun befindet sich Wolfgang Rüppel mit seiner Kunstauffassung in einem Grenzraum, in dem haptische Existenz durch Materialien wie Leinwand, Glas, Marmor, Bronze, Gips und Farbe optisch und tatsächlich vorhanden ist, und Emotionen durch das Sichtbare veranlasst werden. Die philosophisch-ironische Beschäftigung mit Evidentem, das jedoch nicht beweisbar ist, gehört sicher zu den schmerz- und gleichzeitig lustvollen Motiven, zur künstlerischen Arbeit. 

Glück und Glas steht als Metapher, für den Menschen als verletzbares Wesen. Und für die Kunst, und die Kultur, die Freiheit, die ebenso gefährdet ist. Goethes Heinrich Faust hat das Glück als nahezu unerreichbar, so flüchtig und in der Werteskala so hoch gesehen, dass er seine ewige Seeligkeit für einen Augenblick vollsten Glücks gegeben hätte. Nur einen Augenblick. Als Spezialist, mehr in Sachen Unglück, als Glück, zeigt sich bekanntermaΒen Arthur Schopenhauer. In seinen "Fünfzig Lebensregeln" zur "Die Kunst, glücklich zu sein" sagt er einiges zur Sehnsucht nach Glück und den damit zusammenhängenden Wahrnehmungen, die seiner philosophischen Haltung gemäΒ, an Täuschung grenzen. „Der Charakter der ersten Lebenshälfte ist die stetes unerfüllte Sehnsucht nach Glück, der der zweien die nur zu oft erfüllte Besorgnis vor Unglück... Der Grund der Verschiedenheit ist, dass die Erfahrung uns...belehrt hat, dass alles Glück chimärisch, Unglück aber real sei”. 

An weiteren Stellen verbindet er Glück mit „getäuschter Hoffnung” und nennt die Vorstellungen „täuschende Bilder eines geträumten, unbestimmten Glücks”. Die Verbindung von visuellen Vorstellungen und dem inneren Glücksgefühl macht seine Philosophie so anschaulich, und die Gewissheit der stärkeren Gegenwart des Unglücks, so real. „Das Leben wird uns früher durch die Dichtung als durch die Wirklichkeit bekannt: die Szenen schweben im Morgenrot unsrer eigenen Jugend vor uns, und uns ergreift eine starke Sehnsucht, sie verwirklicht zu sehn. Diese täuscht sehr...Alle Dinge sind schön zu sehn, aber peinlich zu sein”1 .

AbschlieΒend bedanke ich mich herzlich bei allen, die uns bei der Ausstellung unterstützt haben. Besonders danke ich der Sparkasse Trier wegen ihres finanziellen Beitrags, ohne den der Katalog nicht in dieser Form hätte realisiert werden können und Wolfgang Rüppel für sein groΒes Engagement bei der Vorbereitung der Ausstellung.

(1 Zitate aus Arthur Schopenhauer, Der handschriftliche NachlaΒ, Frankfurt 2. Aufl. 1997, Bd. III, S.58, 295).

Andrea Wolter-Abele

Christina Paetsch und Wolfgang Rüppel Tarnen und Täuschen

 

Als zweite Ausstellung im Themenkomplex der BEZUGNAHME wird ein räumlicher Dialog hergestellt zwischen den fotografischen Arbeiten sowie den neuesten Videos von Christina Paetsch und den öl- /Acrylbildern, Siebdruckobjekten sowie den Plastiken von Wolfgang Rüppel. Rüppels Kunstsprache ist an der Schnittstelle zwischen Malerei und Fotografie festzumachen. Wolfgang Rüppel bedient sich jedoch nicht der vordergründigen malerischen Infragestellung des Realitätsbezugs der Fotografie, vielmehr treten die unterschiedlichen Gattungen in seinen strukturierten Werken in einen Dialog über die Einmaligkeit des ornamentalen Bildmotivs. Rüppel taucht ein in die Welt des Ornamentalen, fixiert und reproduziert das Ornament, resp. die Struktur in ihrer Autonomie. Die gleichmäΒig rhythmisierte und wiederholte Darstellung einzelner Strukturen in ihrer ästhetik erzielt beim Betrachter eine Irritation über die Wertigkeit der bis dato nicht bewusst wahrgenommenen Ornamente. Rüppel bewirkt mit der Thematisierung des Ornaments als Emblem, als heraldisches Zeichen eine neue Assoziierung des Ortes, des Territorialen. Das Bildmotiv des Ornaments ist prädestiniert, Orten durch die Bestimmtheit einer raumdefinierenden Malerei einen "Namen" zu geben. Or-namen-t, im Namen des Ortes. Im Namen des Ortes arbeitet auch Christina Paetsch in ihren fotografischen Arbeiten. Paetsch zeigt keine Abbilder, sondern simuliert neue Wirklichkeiten mit den Elementen des Mikrokosmos. Ihre Motive entnimmt sie den organischen Stoffen, wie Häuten, Gemüse oder Abfall und bearbeitet diese bis zur täuschenden Unkenntlichkeit mit Farben. Durch den eintretenden Verfremdungseffekt verlieren ihre Bildmotive vollends die wesenhafte Körperlichkeit und mutieren zu ästhetischen Wesen einer irrealen Welt. Die abgebildeten organischen Objekte, die mit den kamera- und fototechnischen Mitteln ihrer gegenständlichen Vergänglichkeit enthoben werden, erscheinen in den hochästhetischen Fotografien als haptische abstrakte Formen. Mit der Fokussierung auf mikrokosmische Bildmotive und Einzelmotive des Ornaments arbeiten Paetsch und Rüppel der Neubelebung des Ortes entgegen. In einer Zeit der rasanten Globalisierung und der zunehmenden Mobilität verstärkt sich zugleich das Gefühl der Ortlosigkeit. Mit zunehmender Beliebigkeit wächst auf der anderen Seite aber auch die Sehnsucht nach der Benennbarkeit von Orten, an denen die Einheit von Hier und Jetzt erfahren werden kann. Sowohl im ästhetischen Mikrokosmos der Fotografien von Christina Paetsch als auch im strukturierten Bildmotiv des Ornaments von Wolfgang Rüppel findet sich der Betrachter als territoriale und mentale Einheit wieder.

Galerie Seitz & Partner

 

 

Wolfgang Rüppel in der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft Berlin

 

Künstlerischer Ausgangspunkt in Wolfgang Rüppels Arbeit ist zunächst eine formale Idee.

In einer  „ornamentalisierten Aneignung“ von vorgefundenem Bildmaterial, wie der Künstler dies nennt, wird durch verändernde Bearbeitung wie Vergrößern, Aufrastern, Verdichten, durch Überlagerungen, die Reduktion auf formbestimmende Einzelelemente oder durch das Spiel mit Größenverhältnissen der Einzelformen eine neue Bildgestaltung erreicht

 

Bedruckte oder geätzte Glasflächen, die mit ihrer  Glätte, Transparenz und scheinbaren Materielosigkeit das Arbeitsprinzip des „Tarnens und Täuschens“ unterstützen, ermöglichen eine vielschichtige Arbeit, die sich auf Fragestellungen wie Formauflösung und Abstraktion, Wahrnehmung und vermeintliche Wirklichkeitsabbildung fokussiert. Nie wird eine abbildhafte Eindeutigkeit hergestellt. 

Die gedruckten Flächen erscheinen wie Malerei, jedoch ohne gestische Spur. 

 

Im Foyer:

 

Eine dreidimensionale Bildfläche, auf der sich tapetenartig in einem Bereich des Raumes, hoch über den Köpfen der Betrachter ein florales Ornament ausbreitet – eine präzise konstruierte  und für diesen Ort geschaffene Installation.

 

Die Bilder, die an die dem Eingang gegenüberliegende Wand gelehnt sind, entspringen analogen Gestaltungsstrukturen: sie nehmen - einer thematischen Fragestellung folgend - das Spiel mit dem floralen Feld auf, regen in überraschenden Dialogen dazu an, mögliche Beziehungen der Arbeiten untereinander zu entdecken und evozieren zugleich in ihrer Durchmischung beim Betrachter abwechslungsreiche und unterschiedliche Wahrnehmungsgeschwindigkeiten: als sinnlich orientiertes Erlebnis einer künstlerischen Position, die sich im Raum verdichtet und erweitert.

Ein Spiel zwischen Bildebenen, in denen sich Nah- und Fernsicht, Großform und Details in Balance halten. Und zugleich ein inspirierender Dialog zwischen Kunst und umgebender Architektur.

 

Der große Besprechungsraum:

 

Das Gesicht eines Jungen, bearbeitet, in ein grobes Raster aufgelöst und in zwei Schichten, die sich gegenseitig überlagern, auf eine Glasplatte gedruckt: eine  motivische Auskoppelung aus dem „Denkmal für die Ereignisse des 17. Juni 1953“.

Die Assoziationen zu einem geschichtlichen Ereignis, die sich beim Betrachter einstellen, sind gewünscht, ebenso wie die Erinnerung an Bildnisse des Künstlers als junger Mann und zugleich kontrastiert mit der Ultramarinblauen Glasfläche – eine Reminiszenz an das „Yves-Klein-Blau“.

Diese Arbeit wird kontrastiert von einem weiteren Glas, das eine Zuschauermenge zeigt, die den im Saale versammelten bei ihrem Tun zusehen.

 

 

Ausstellungen:   Hackesche Höfe / IV     Rosenthaler Str. 40/41    10178 Berlin     Postanschrift:  Postfach 15 12 23   10674 Berlin                Tel.  +49-30-886 790-41     Fax  +49-30-886 790-42     info@galerie-seitz.de      www.galerie-seitz.de

Sabine Graf - Entrümpelung der öffentlichen Räume

Es lässt sich nur schwer leugnen, dass der öffentliche Raum, also die Welt draußen vor der Tür, immer mehr einer Abstellkammer gleicht. Es scheint, es herrscht ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen der privaten und öffentlichen Sphäre im Hinblick auf die Gestaltung von Räumen. Museum oder Rumpelkammer, die Welt um uns herum verkommt und immer mehr zum Lager für noch intaktes und ausgemustertes Stadtmobiliar wird. Es regiert ein Paradox: Je mehr Funktionalität und damit dem Lebensqualität dem öffentlichen Raum durch Brunnen, Bänken oder Papierkörben zugeeignet wird, desto überflüssiger und sinnloser erscheinen diese Maßnahmen.

Im Winter werden Brunnenanlagen zu Ruinen, in denen sich der Müll verfängt. Besonders schmerzlich verbinden sich derlei Wahrnehmungen mit einem im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Credo ?Kunst ist kein Luxus, sondern notwendig?, wenn es darum geht irgendeine sperrige und teure Plastik in Klein- oder Mittelstädten zu installieren. Bleibt die Frage, ?Notwendig wofür?? Ein Beispiel von vielen, bei dem auf die leidenschaftliche Fürsprache den Verfall folgen lässt. Jede neue Teil, jeder Brunnen, jede Plastik leistet nur dem Unbehausten Vorschub. 

Jedoch hat sich in den letzten Jahren, wenn es um Kunst im öffentlichen Raum geht, Einiges geändert. Man stellt nicht mehr punktuell irgendetwas ab, sondern sieht Kunst in der Spannung von Werk und Raum oder setzt gleich auf die Gestaltung eines Raumes als Beitrag zur Kunst im öffentlichen Raum. Jedenfalls geschieht nichts mehr, ohne im Bezug zum Umfeld zu stehen. Das Mahnmal an den Aufstand des 17. Juni von Wolfgang Rüppel ist dafür ein Beispiel: Es nimmt vorherige künstlerische Gestaltungen an diesem Ort auf und setzt ihnen in der Sprache des Künstlers einen Entwurf entgegen. 

Auf dem Boden liegt eine vergrößerte Fotografie eines Zeitungsfotos, das die demonstrierenden Arbeiter am 17. Juni 1953 zeigt. Durch das genutzte Siebdruckverfahren sowie durch eine unter dem Druck liegende Glasscheibe ist das Bild immer nur teilweise scharf. Die Pointe ist, je näher man dem Bild kommt, desto mehr löst es sich auf. Es wird zu Punkten und Flächen, die den Dienst versagen und nicht mehr abbilden. Man er kennt es erst aus der Distanz. Damit ist mit einfachen Mitteln ein Bild für die Anforderungen eines Denkmals der Gegenwart gefunden: Kein Surrogat, kein Stellvertreter für die Erinnerung hat hier seinen Platz gefunden und wird, so die Erfahrung, nach einer Weile nicht mehr wahrgenommen und als Müllplatz, Graffitizone oder Toilette für Tier und Mensch benutzt. Sobald sich eine Arbeit im öffentlichen Raum durch den Raum und diejenigen, die in ihm sind erst erschließt, ist sie vor dem Vergessen geschützt. Sie ist ein Bekenntnis zum öffentlichen Raum. Damit versagt sie sich einer beliebigen künstlerischen Lösung und verweist auf ein Bewusstsein, das davon bestimmt ist, dass Kunst nicht die Welt erklärt oder eine Lösung anbietet, die jeweils nur von der Gesellschaft, von der Politik zu treffen ist. Kunst im öffentlichen Raum, die diesem Gedanken folgt, überschätzt sich nicht als Allheilmittel, sondern ist sich ihrer Grenzen mit aller Macht bewusst.

Dahinter steckt das militärische Prinzip des Tarnens und Täuschens, mit dessen Hilfe das, was man zeigen will, erst sich offenbart. Alles, was jenseits der Grellheit einer Coca-Cola-Reklame in den öffentlichen Raum kommt, bleibt der auf den starken Reiz justierten Wahrnehmung verborgen. Die nicht-vorhandene Chance zu nutzen, macht Wolfgang Rüppel zum Prinzip seiner Einmischungen in den öffentlichen Raum. Er wählt den Ausschnitt aus einem Zeitungsfoto, spielt mit der Relation von Nähe und Ferne und stülpt den Innenraum in den Außenraum. Etwa, wenn er in der Stadt Marmorblöcke mit einem von Tapeten oder Geschenkpapier vertrauten Dekor überzieht und damit Symbole des Privaten in die Öffentlichkeit bringt und durch die Verstörung den Prozess des Nachdenkens in Gang setzt.

Seine Kunst stellt die Aufgabe, nach zu denken. ?Denkmal? ist wörtlich zu verstehen, denn damit verknüpft sich der Imperativ ?Denk mal lieber selber?. Hier wird keine bereits formulierte Erkenntnis geboten. Es gilt, das Bild, das Denkmal erst durch tätige Anteilnahme des Einzelnen zu erkennen.

Gabriele Lohberg

 

 

Wolfgang Rüppel „Alle Farben“, Siebdruck

 

 

Was zeichnet einen erfahrenen Maler aus? In der Darstellung von Marteen von Hemskerk (erfundener Name), ist es zum einen das ganz typische Material – die bespannte Leinwand - zum anderen ist es die Armut und die Wanderschaft, das „Unbehaustsein“. Wolfgang Rüppel bezieht sich in seinem Siebdruck „Alle Farben“ auf das erstere, das Material des Malers. Doch bereits bei der Erwähnung der Technik, den Auftrag der Farben durch den Rakel, der die Farbpaste durch das unbeschichtete Sieb presst, setzt die Reflektion über eine zeitgenössische Definition des Malers ein. Wolfgang Rüppel hat sich nach längerer Erfahrung mit der Malerei mit den traditionellen Malwerkzeugen entschlossen, das persönliche, das „unverblümt“ direkte von Malerei mit dem Pinsel, in eine mittelbare Handschrift umzudeuten. Er zieht es vor, den Ausdruck aus dem Malen selbst zu extrahieren und es dem Betrachter zu überlassen, ob und wie weit er das Seherlebnis für sich deuten möchte. Über die Arbeit „ Alle Farben“, von der es mehrere leicht voneinander abweichende Versionen gibt, sagt der Künstler selbst: „ Am Ende einer Woche habe ich mich entschlossen, die Farbe, die sich in den Mischtöpfen fand, für diesen Druck zu verwenden. Dies ist der eigentliche Sinn dieser Arbeit“.   Diese Farbe, ein Graubraun das tatsächlich alle Farben enthält, wurde in fünf sehr transparenten Schichten, in der immer gleichen DIN A3-Fläche , leicht versetzt, übereinander gedruckt, so dass unterschiedliche farbliche Überlagerungen entstehen. Doch was ergibt sich aus dieser scheinbar einfachen Entscheidung. War es Sparsamkeit, die teure Farbe doch nicht wegzuspülen, sondern wieder zu verwenden? Oder war es die Überlegung, dass diese Farbe die Arbeit einer Woche zusammenfasst? Oder dass sich die Entscheidungen für verschiedene Farben, für verschiedene Bilder, in der Summe selbst aufheben und auflösen? Sicherlich ist es erst einmal wichtig, die Entscheidung am Ende der Woche getroffen und dieses Blatt in einer  Auflage realisiert zu haben. Jeder Versuch, diese Farbe erneut zu mischen, würde fehlschlagen, da das Verfahren eine einzigartige Woche im Leben des Künstlers zusammenfasst, die nicht wiederholt werden kann. Dies bedeutet schon eine erste integrierte Spannung: Die scheinbar indifferente, gleichmäßig einfarbige Fläche, wird zum Spiegel einer einmaligen, unwiederholbaren Zeit. 

 

Dann stellt dieses Blatt, die Individualität eines Künstlers selbst zur Diskussion. „Lieber Maler male mir…“ Natürlich ist ein Maler heute nicht Auftragsmaler, aber wird von ihm nicht erwartet, dass er etwas malt, zu dem jeder und jede eine Meinung haben kann? Und ist es für einen Künstler überhaupt möglich, diesem Anspruch zu entrinnen, da er sich in einem Medium äußert, dass auf Kommunikation und „Ansicht“ im doppelten Sinn angelegt ist? Ist es nicht vielmehr so, wie Pablo Picasso es sagte, dass ein Bild, das niemand sieht, trotzdem seine Wirkung entwickelt, da es nun einmal „in die Welt gekommen sei“, die malerischen Gedanken gedacht worden sind? Das ultimative, monochrome „Antibild“ gerät wegen seiner medialen Notwendigkeiten doch immer wieder zum Bild, und selbst Hörstücke, die nichts sichtbares Wiedergeben, lassen doch Assoziationen im Kopf entstehen, sodass auch hier die Macht der Bilder nicht endet. Die Ökonomie der Mittel ist dabei immer wieder ein Postulat der Moderne, das Wolfgang Rüppel in dieser Arbeit - ironisch – auf die Spitze treibt. Nicht nur die Farbwahl wird dem Zufall überlassen, das Bild selbst wird nicht durch irgendeine Form bestimmt. Es wird auf seine Materialität reduziert: Es existiert nur durch die Farbe, die Beschaffenheit und Dimension des Siebes und des Papiers, der Idee der Umsetzung und den Druck des Rakels, der vom Künstler geführt wird. Auch der Malvorgang wird vom Künstler hintergründig kommentiert: Nur wenn der Betrachter um die Schwierigkeit weiß, im Handdruck eine gleichmäßige Fläche mit dem Rakel zu erzielen, kann er am undifferenzierten Farbauftrag eine handwerkliche Qualität ablesen.

 

Die Fotografie revolutionierte auch das Bild des Künstlers seit ihrer Verbreitung im 19. Jahrhundert. Nicht nur die Fähigkeit der Abbildung wurde „entzaubert“, sondern auch der Geniebegriff. Die Kunst erhielt ihren Sinn mehr und mehr durch die Qualität des künstlerischen Konzepts. Und auch hier entspricht Wolfgang Rüppel bewusst nicht den Erwartungen des Betrachters: Seine Entscheidung für das Bild reduziert er in seinem Kommentar auf die bloße Verwendung aller Farben einer Woche. Doch diese Äußerung ist ganz bewusst auf die grundlegende Struktur des Bildes abgestimmt. Wir sollten sie daher nicht als deskriptive Tautologie begreifen, sondern vielmehr als Hinweis auf eine Befragung von Kunst, die vom Künstler immer wieder auch im Sinne von „Täuschung und Tarnung“, verstanden wird.

 

 

 

Dr. Pia Müller-Tamm

 

Wolfgang Rüppels

 „Denkmal zur Erinnerung an den siebzehnten Juni Neunzehnhundert dreiundfünfzig“ in Berlin

 

 

Wolfgang Rüppels Bilder neigen zum Ornamentalen, zu einer rein formalen Struktur, die sich durch Gleichmäßigkeit und Wiederholung auszeichnet. Dadurch wird die motivische Lesbarkeit seiner Bilder drastisch eingeschränkt, wenn nicht ganz unterdrückt. Läßt sich eine solche Kunstsprache mit der

Aufgabe eines Denkmals vereinbaren?

 

Denkmäler stellen bekanntlich erhöhte Ansprüche an Lesbarkeit und Verständlichkeit und dies nicht nur beim geübten Betrachter von Kunst, sondern in einer breiten Öffentlichkeit. Denkmäler vertreten einen politischen Wirkungsanspruch sie wollen Erinnerung wach halten, um damit der politischen Bewußtseins- und Identitätsbildung zu dienen. 

 

Daß diese Forderungen an ein Denkmal mit zeitgenössischen künstlerischen Praxen kollidieren, haben die langwierigen Denkmaldiskussionen der letzten Jahre deutlich gezeigt. Und dennoch besteht gerade in der Gegenwart ein ausgeprägter Hang zum Denkmal, mit dem sich Künstler und Künstlerinnen auch nach der Entlassung der Kunst aus gesellschaftlichen Funktionen, in einer Zeit der fortwährenden Krise des öffentlichen Bildes auseinander zusetzen haben.

 

Wolfgang Rüppels Denkmal zur Erinnerung an den Aufstand des 17. Juni 1953 ist ein für sich stehendes Werk und gleichzeitig Kommentar zu einer historischen Interpretation des Denkmalgedankens. 

 

In Format und Platzierung bezieht sich Rüppels Arbeit auf das Wandbild von Max Lingner, das sich in der Pfeilervorhalle des früheren Hauses der Ministerien, dem heutigen Finanzministerium 

befindet. Lingners Wandbild ist ein Musterbeispiel propagandistischer Kunst und öffentlicher Bildagitation der frühen DDR. Schon der langatmige Titel vermittelt die ideologische Last, die dieses Stück akademischer Kunst zu tragen hatte: „Die Bedeutung des Friedens für die kulturelle Entwicklung der Menschheit und die Notwendigkeit des kämpferischen Einsatzes für ihn“. Lingner selbst und seine Auftraggeber verstanden sein Werk als Gegenbild zu einem Wandrelief mit einer Darstellung der Wehrmacht, das die Nationalsozialisten 1941 von dem Bildhauer Arnold Waldschmidt für das Reichsluftfahrtsministerium herstellen ließen.

 

Auf derartig sensiblem, um nicht zu sagen kontaminiertem Terrain hat Wolfgang Rüppel mit diskreten Mitteln eine künstlerische Intervention vorgenommen. Sein Entwurf reagiert auf die ideellen und formalen Vorgaben von Lingners Wandbild und grenzt sich entschieden davon ab: Vertikal verlaufende Streifen in den Achsen der Pfeilervorhalle vor dem Gebäude strukturieren den Platz. Diese Platzgestaltung nach einem Entwurf der Architektin Ute Piroeth stellt einen Blickbezug zwischen Rüppels Denkmal und Lingners Wandbild in der Pfeilervorhalle her.

 

Auch im Format seines Glasbildes folgt Rüppel den Abmessungen des Ling-nerschen Wandbildes. Während dieses jedoch panoramaartig in die Wandfläche eingelassen ist und sich damit ostentativ in die Tradition öffentlicher Bildpropaganda stellt, hat Rüppel sein Bild in die Platzfläche horizontal eingebettet, eine ungewöhnliche Position für ein Bild, das doch erkennbar ein Oben und Unten und durch die Steinbrüstung an den vier Seiten auch eine ästhetische Grenze in der Art eines Rahmens besitzt.

 

Die Bildvorlage, die Rüppel verarbeitet hat, ist eine historische Aufnahme der Demonstranten vom 

17. Juni 1953. Diese anonyme Schwarz-Weiß-Fotografie einer Menschenkette hat Rüppel digitalisiert und im Computer in mehreren Stufen bearbeitet. Die digitale Bildbearbeitung erlaubt die nahezu unbegrenzte Manipulation des fotografischen Materials, was zu einer schrittweisen Auflösung seines eindeutigen Weltbezugs führt. Durch Sequenzierung, gezielte Manipulationen einzelner Bildelemente, Verschleifung der Übergänge und Perspektivkorrekturen hat Rüppel die dokumentarische Aufnahme für das vorgesehene Bildformat und den Ort seiner Präsentation transformiert. 

 

Der entscheidende ästhetische Eingriff bestand wiederum in der Rasterung des Bildes und in der doppelten Übertragung der Rasterstruktur auf zwei sich überlagernde Glasflächen, einmal im Siebdruckverfahren mit Farbe, das andere Mal mattiert. Durch die Rasterstruktur erhält die anonyme Bildvorlage nachträglich den Charakter eines Medienbildes. 

 

Die Rasterung dient aber auch hier als gegenstandsunabhängige Struktur, die das Bild diffus macht und die Lesbarkeit irritiert. Aufgrund des Abstandes zwischen den beiden Bildebenen ergibt sich auch hier der schon beschriebene visuelle Effekt, eine Spannung zwischen dem Abbild und dem Verschwinden des Abbildlichen. Durch das Fehlen einer Binnengliederung und die willkürliche Ausschnittwahl nähert sich das Bild dem All-over, einer auf die Fläche bezogenen quasi ornamentalen Struktur an.

 

Das öffentliche Werk erfordert -  wie gesagt - einen anderen Grad an Lesbarkeit und Verständlichkeit als das Werk im musealen oder privaten Zusammenhang. In seinem Denkmal zur Erinnerung an den Aufstand des 17. Juni hat Wolfgang Rüppel deshalb den Prozeß der Auflösung des Abbildlichen nicht so weit getrieben wie in manchen seiner Galeriewerke. War Lesbarkeit das oberste Gebot von Lingners deskriptivem Arbeiter- und Bauernbild, so verstrickt Rüppel den Betrachter in ein visuelles Vexierspiel: 

Dr. Pia Müller-Tamm, Kunstsammlung NRW K20 

16.6.2000 in der Galerie  Seitz & Partner

 

Denkmal zur Erinnerung an den Aufstand des  

siebzehnten Juni Neunzehnhundertdreiundfünfzig

von Wolfgang Rüppel

 

In einem Essay aus den 80er Jahren lieferte die amerikanische Kunstkritikerin Rosalind Krauss einen Kommentar zur zeitgenössischen Kunst, der sich bis heute auf relevante künstlerische Konzeptionen beziehen läßt.  Postmoderne Praxis sei im Gegensatz zur modernen nicht mehr um die Definition eines gegebenen Mediums hinsichtlich des Materials organisiert, sie organisiere sich vielmehr um ein Universum oppositioneller Begriffe, die aus einer bestimmten kulturellen Situation hervorgehen. Wenn sich die zeitgenössische Skulptur um das Gegensatzpaar Architektur/Landschaft drehe - so Rosalind Krauss -‚ gehe es in der Malerei „wahrscheinlich um die Pole Einmaligkeit und Reproduzierbarkeit“.

 

Unzweifelhaft ist, daß sich seit der Pop Art und verstärkt in den 80er und 9Oer Jahren der Bildbegriff nachhaltig verändert hat: Der künstlerische Umgang mit Bildern der Massenmedien und mit Reproduktionstechniken hat den alten Begriff des Tafelbildes ausgehöhlt und die damit verbundenen Vorstellungen. von Originalität und Einmaligkeit, von Autorschaft und individuellem Schöpfertum desavouiert. Die Grenzen zwischen den Gattungen Malerei und Fotografie haben sich aufgelöst. Künstler untersuchen die immanenten malerischen Qualitäten des fotografischen Bildes wie umgekehrt Maler den Realitätsbezug des fotografischen Bildes in ihren Werken reflektieren. Wolfgang Rüppels Kunst hat Teil an dieser Reflexion im Medium des Bildes. Doch scheint mir das Spezifische seines Ansatzes in gewisser Weise gegen die dominante Tendenz in der zeitgenössischen Auseinandersetzung gerichtet. Denn reproduzierte Bilder und Reproduktionstechniken dienen Wolfgang Rüppel nicht eigentlich zur Auflösung der Vorstellung von Originalität und subjektivem Schöpfertum, wie dies bei vielen Künstlern in der Gegenwart der Fall ist. Reproduzierte Bilder und Reproduktionstechniken werden von Rüppel viel eher zur Behauptung der Einmaligkeit und der formalen Autonomie des Kunstwerkes eingesetzt.  Malerei und Fotografie treten in einen Dialog, um ein künstlerisches Unikat, das seine ästhetische Präsenz im Hier und Jetzt behauptet, hervorzubringen.

 

Lassen Sie mich diese Einschätzung zunächst mit einem Blick auf das große Querformat in diesem Raum überprüfen (Abb. 1). Als Bildvorlage hierzu diente dem Künstler eine fotografische Aufnahme von türkischen Militärs, die sich anläßlich der Feier eines Geburtstages von Atatürk zu einer Versammlung zusammengefunden hatten. Das Foto war dem Künstler als Zeitungsbild begegnet, was das Punkteraster des Bildes deutlich zu erkennen gibt. Es war mithin Teil einer Kette von Reproduktionen, die bis in das vorliegende künstlerische Werk hinein reicht. Wolfgang Rüppel beendet mit seinen künstlerischen Verfahren jedoch diese Kette des Reproduktiven und löst es von seinem eindeutigen Wirklichkeitsbezug. Der erste Schritt hierzu war die drastische Vergrößerung des Bildes, ein Vorgehen, das die Brechung der rhetorischen Kraft des Bildes zur Folge hat. Die Schicht der standardisierten Einheiten des Rasters, ein Netz von Punkten, löst sich von der Ebene der abgebildeten Gegenstände. Was das Auge im Normalfall unbewußt ausfiltert, tritt als eigenständige Bildschicht nun sichtbar in Erscheinung.

 

Doch damit nicht genug: Der Künstler steigert diesen Transformationsprozeß, indem er das Punkteraster im Siebdruckverfahren auf zwei Seiten eines dicken Glases reproduziert. Dabei verwendet er unterschiedliche Farben, ocker und blau, die sich optisch zu einem Graugrünton mischen. Durch den Abstand zwischen den beiden Bildebenen schafft der Künstler ein zusätzliches Distanzmoment das die gegenständliche Lesbarkeit des Bildes erschwert. Ein Gewoge von Punkten scheint vor den Augen des Betrachters zu vibrieren, abwechselnd scharf und unscharf.

 

Das merkwürdige an diesem Bild: Je näher man an das Werk herantritt, desto undeutlicher wird die Darstellung. Eine fotografische Reproduktion vermag diesen speziellen Effekt des Bildes nicht wiederzugeben; das Bild kippt in der nachträglichen Reproduktion gleichsam wieder zurück auf die 

Seite des Abbildlichen. Das Spezifische des Bildes, seine entschiedene Tendenz zur Auflösung des Abbildhaften, oder - wie die Theoretiker des fotografischen Bildes sagen würden - zur Ablösung vom fotografischen Index, läßt sich also nur in der unmittelbaren Begegnung mit dem Werk in der Galerie erfahren. Insoweit scheint es mir gerechtfertigt zu sagen, daß Wolfgang Rüppel reproduziere Bilder und Reproduktionstechniken einsetzt, um das Werk im Hier und Jetzt zu verankern und damit Begriffe wie Einmaligkeit und Originalität auf neuem künstlerischem Fundament wieder in ihr Recht zu setzen.

 

Das Vereinmaligen des Vervielfältigten ist ein durchgängiges Prinzip der Kunst von Wolfgang Rüppel. Betrachtet man die unterschiedlichen Werkformen und Bildtechniken, so zeigt sich eine gewisse Bandbreite in der Bestimmung des Verhältnisses von abbildlicher Darstellung und autonomer, ästhetischer Bildstruktur. In der kleinformatigen Arbeit in diesem Raum (Abb. 2) arbeitete der Künstler mit einem dreischichtigen Bildverfahren. Eine querformatige Leinwandtafel trägt einen gestisch gemalten Bildgrund aus dünnflüssiger, leicht transparenter Farbe. Darauf hat Wolfgang Rüppel einen Siebdruck mit der Darstellung chinesischer Soldaten beim Frühsport gedruckt. Doch hat auch dieses Bild eine Metamorphose durchlaufen, die die Referenz auf das dargestellte Motiv weitgehend getilgt hat: Rüppel hat das Bild durch mehrfaches Fotokopieren ausschließlich auf Helldunkelkontraste reduziert. Die figürlich lesbare Darstellung ist in diesem Prozeß fast vollständig aus dem Bild verschwunden. An ihre Stelle ist eine rhythmisierte Bildstruktur getreten, die durch die partielle Überlagerung mit einer leicht versetzten zweiten gläsernen Bildschicht eine weitere ästhetisch wirksame Bildebene erhielt.

 

Wolfgang Rüppels Bilder neigen zum Ornamentalen, zu einer rein formalen Struktur, die sich durch Gleichmäßigkeit und Wiederholung auszeichnet. Dadurch wird die motivische Lesbarkeit seiner Bilder drastisch eingeschränkt, wenn nicht ganz unterdrückt. Läßt sich eine solche Kunstsprache mit der

Aufgabe eines Denkmals vereinbaren?

 

Denkmäler stellen bekanntlich erhöhte Ansprüche an Lesbarkeit und Verständlichkeit und dies nicht nur beim geübten Betrachter von Kunst, sondern in einer breiten Öffentlichkeit. Denkmäler vertreten einen politischen Wirkungsanspruch sie wollen Erinnerung wach halten, um damit der politischen Bewußtseins- und Identitätsbildung zu dienen. 

 

Daß diese Forderungen an ein Denkmal mit zeitgenössischen künstlerischen Praxen kollidieren, haben die langwierigen Denkmaldiskussionen der letzten Jahre deutlich gezeigt. Und dennoch besteht gerade in der Gegenwart ein ausgeprägter Hang zum Denkmal, mit dem sich Künstler und Künstlerinnen auch nach der Entlassung der Kunst aus gesellschaftlichen Funktionen, in einer Zeit der fortwährenden Krise des öffentlichen Bildes auseinander zusetzen haben.

 

Wolfgang Rüppels Denkmal zur Erinnerung an den Aufstand des 17. Juni 1953 ist ein für sich stehendes Werk und gleichzeitig Kommentar zu einer historischen Interpretation des Denkmalgedankens. In Format und Platzierung bezieht sich Rüppels Arbeit auf das Wandbild von Max Lingner, das sich in der Pfeilervorhalle des früheren Hauses der Ministerien, dem heutigen Finanzministerium befindet. Lingners Wandbild ist ein Musterbeispiel propagandistischer Kunst und öffentlicher Bildagitation der frühen DDR. Schon der langatmige Titel vermittelt die ideologische Last, die dieses Stück akademischer Kunst zu tragen hatte: „Die Bedeutung des Friedens für die kulturelle Entwicklung der Menschheit und die Notwendigkeit des kämpferischen Einsatzes für ihn“. Lingner selbst und seine Auftraggeber verstanden sein Werk als Gegenbild zu einem Wandrelief mit einer Darstellung der Wehrmacht, das die Nationalsozialisten 1941 von dem Bildhauer Arnold Waldschmidt für das Reichsluftfahrtsministerium herstellen ließen.

 

Auf derartig sensiblem, um nicht zu sagen kontaminiertem Terrain hat Wolfgang Rüppel mit diskreten Mitteln eine künstlerische Intervention vorgenommen. Sein Entwurf reagiert auf die ideellen und formalen Vorgaben von Lingners Wandbild und grenzt sich entschieden davon ab: Vertikal verlaufende Streifen in den Achsen der Pfeilervorhalle vor dem Gebäude strukturieren den Platz. Diese

 

Platzgestaltung nach einem Entwurf der Architektin Ute Piroeth stellt  einen Blickbezug zwischen Rüppels Denkmal und Lingners Wandbild in der Pfeilervorhalle her.

 

Auch im Format seines Glasbildes folgt Rüppel den Abmessungen des Ling-nerschen Wandbildes. Während dieses jedoch panoramaartig in die Wandfläche eingelassen ist und sich damit ostentativ in die Tradition öffentlicher Bildpropaganda stellt, hat Rüppel sein Bild in die Platzfläche horizontal eingebettet, eine ungewöhnliche Position für ein Bild, das doch erkennbar ein Oben und Unten und durch die Steinbrüstung an den vier Seiten auch eine ästhetische Grenze in der Art eines Rahmens besitzt.

 

Die Bildvorlage, die Rüppel verarbeitet hat, ist eine historische Aufnahme der Demonstranten vom 

17. Juni 1953. Diese anonyme Schwarz-Weiß-Fotografie einer Menschenkette hat Rüppel digitalisiert und im Computer in mehreren Stufen bearbeitet. Die digitale Bildbearbeitung erlaubt die nahezu unbegrenzte Manipulation des fotografischen Materials, was zu einer schrittweisen Auflösung seines eindeutigen Weltbezugs führt. Durch Sequenzierung, gezielte Manipulationen einzelner Bildelemente, Verschleifung der Übergänge und Perspektivkorrekturen hat Rüppel die dokumentarische Aufnahme für das vorgesehene Bildformat und den Ort seiner Präsentation transformiert. 

 

Der entscheidende ästhetische Eingriff bestand wiederum in der Rasterung des Bildes und in der doppelten Übertragung der Rasterstruktur auf zwei sich überlagernde Glasflächen, einmal im Siebdruckverfahren mit Farbe, das andere Mal mattiert. Durch die Rasterstruktur erhält die anonyme Bildvorlage nachträglich den Charakter eines Medienbildes. 

 

Die Rasterung dient aber auch hier als gegenstandsunabhängige Struktur, die das Bild diffus macht und die Lesbarkeit irritiert. Aufgrund des Abstandes zwischen den beiden Bildebenen ergibt sich auch hier der schon beschriebene visuelle Effekt, eine Spannung zwischen dem Abbild und dem Verschwinden des Abbildlichen. Durch das Fehlen einer Binnengliederung und die willkürliche Ausschnittwahl nähert sich das Bild dem All-over, einer auf die Fläche bezogenen quasi ornamentalen Struktur an.

 

Das öffentliche Werk erfordert -  wie gesagt - einen anderen Grad an Lesbarkeit und Verständlichkeit als das Werk im musealen oder privaten Zusammenhang. In seinem Denkmal zur Erinnerung an den Aufstand des 17. Juni hat Wolfgang Rüppel deshalb den Prozeß der Auflösung des Abbildlichen nicht so weit getrieben wie in manchen seiner Galeriewerke. War Lesbarkeit das oberste Gebot von Lingners deskriptivem Arbeiter- und Bauernbild, so verstrickt Rüppel den Betrachter in ein visuelles Vexierspiel: Das unheroische Bild der Menschenmenge seines Denkmals steht an der Grenze der Lesbarkeit, nicht mehr schlichtes Abbild und noch nicht reines Formereignis. Das Bild erweist sich als hybride Mischung aus historischer Dokumentation und freiem, künstlerischem Zeichengebrauch. Wir haben es mit einem Bild über ein Bild zu tun, ein Werk, das die Frage nach seinem Status in der Welt der Bilder provoziert.

 

Denkmäler sind in ihrer Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit frei von der Vermittlungsaufgabe historischer Zusammenhänge. Sie fungieren im besten Fall als Denksteine, als Assoziationsanreger. Das optische Vexierspiel, das Wolfgang Rüppel in seinen Glasbildern entfaltet, scheint mir der Aufgabe des Denkmals in besonderer Weise zu entsprechen. Es bindet das Erinnern an eine Reflexion über den Realitätsstatus und die Manipulationen des Bildes. Das Denkmal stört unser Vertrauen in die Unmittelbarkeit des Sichtbaren; es eröffnet eine geistige Realität, die durch die künstlerische Ordnung des Bildes erfahrbar wird.

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